Vom Fotojournalismus zum Multimediajournalismus – Einblick in aktuelle Entwicklungen der Branche. Eine Rezension
Eine Schlagzeile, ein Blogbeitrag, ja selbst die Nachricht vom Sport-Ticker ist heutzutage mit einem Bild oder gar einem Video illustriert. Doch unter welchen Bedingungen entstehen diese zahlreichen Bilder und was bedeutet das für die Branche des Fotojournalismus?
Mit dieser Frage beschäftigt sich der Sammelband Fotojournalismus im Umbruch Hybrid,multimedial, prekär. Ziel dieses Buches ist, eine erneute Einschätzung des beruflichen Selbstverständnisses zu geben, sowie die Entwicklung des Fotojournalismus unter den digitalen Bedingungen zu betrachten.
Der Band überprüft die 2008 von Elke Grittmann, Irene Neverla und Ilona Ammann in dem Sammelband „Global, lokal, digital: Fotojournalismus heute“ vorgenommene Verortung des Fotojournalismus. Anders als das Vorgänger-Buch, befasst sich Fotojournalismus im Umbruch nicht unter Gesichtspunkten der Verbreitung mit Fotojournalismus, sondern betrachtet das Thema unter den Schlagwörtern Hybridisierung, Multimedialisierung und Prekarisierung.
Herausgegeben wurde Fotojournalismus im Umbruch von Dr. Felix Koltermann und Dr. Elke Grittmann. Koltermann forscht am Studiengang „Fotojournalismus und Dokumentarfotografie“ an der Hochschule Hannover zu bildredaktionellen Praktiken im digitalen Zeitungsjournalismus in seinem Postdoc-Projekt „Bildredaktionsforschung“. Grittmann ist Professorin für Medien und Gesellschaft am Institut für Journalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal. Sie leitet derzeit ein Forschungsprojekt im Verbundprojekt „Gender, Flucht, Aufnahmepolitiken. Prozesse vergeschlechtlichter In- und Exklusionen in Niedersachsen” und ist Mitglied im DFG-Netzwerk „Kommunikationswissenschaftliche Erinnerungsforschung“.
Durch die Kombination von Fachbeiträgen und Interviews mit Expert*innen aus der Praxis bieten die 14 Autor*innen dieses Sammelbandes sowohl eine wissenschaftlichen als auch berufspraktischen Einblick in die aktuelle Lage des Fotojournalismus. Das Buch ist in vier Abschnitte gegliedert, die den Lesenden zuerst in den digitalen Bildmarkt und die damit verbundenen Arbeitsfelder einführt und darauf aufbauend Institutionen des Fotojournalismus sowie die Profession des/ der Fotojournalist*in vorstellt. Im dritten Teil bekommt die Leserschaft einen Einblick in die redaktionelle Arbeit und zuletzt erfolgt eine Auseinandersetzung mit Darstellungsformen und Ästhetiken des Fotojournalismus. Positiv fällt die Vielfalt der Betrachtungsperspektiven auf. Die Texte enthalten Perspektiven verschiedener Branchen wie Lokalzeitungsfotografie (Hernandez S. 278), Sportfotografie (Meyer/Horky S.108) sowie verschiedene Formen der bildredaktionellen Arbeit (Grittmann im Gespräch mit Schmidt-Funke S.89). Die Theorie der bildredaktionellen Arbeit (Koltermann S. 252) ebenso wie die Entwicklung von Darstellungsformen und Bildästhetiken anhand von bekannten Beispielen wie dem Spiegel (Zlobinski S.379) werden thematisiert. So wird der Leserschaft eine sehr vielschichtige Informationsgrundlage geboten, die sich in vielen Aspekten ergänzt, indem Praktiken wieder aufgegriffen werden oder ein anderer Standpunkt im gleichen Vorgang erörtert wird.
So widmet Michaela Zöhrer der Zusammenarbeit von NGOs und Fotojournalist*innen einen eigenen Text in diesem Sammelband (Internationale Nichtregierungsorganisationen, humanitäre Fotografie und die Zusammenarbeit von NGOs und Fotojournalist*innen S.136). Dort beschreibt sie die Seite der NGOs in Bezug auf bildredaktionelle Arbeit: „Immer mehr NGOs gehen journalistischen bzw. (bild-)redaktionellen Aufgaben nach […]. Gerade wenn die eigene Kommunikation professionellen Standards entsprechen soll, ist dies zeit- und ressourcenaufwendig, weshalb es sich vor allem große und finanzstarke NGOs leisten können, eine solche Arbeit auf regulärer Basis und systematisch zu verfolgen.“ (S. 142f.)
Aus einer anderen Perspektive beschreibt Ulf Schmidt-Funke die Arbeit für Nicht-Regierungs-Organisationen (NRO/NGO) als Bereich, der der Redaktion sehr wichtig ist, aber wenig Umsatz hervorbringt. Er ist Mitglied der Geschäftsführung der ddp media GmbH und wurde von Elke Grittmann für den Sammelband interviewt (S.89). „Die Neuentwicklung einer Visual Story ist sehr anspruchsvoll. Wir entwickeln bei Bedarf mit dem*r Kund*in zusammen ein Storyboard. Wir fokussieren uns auf NGOs, GOs und andere Organisationen, weil wir wissen, dass wir das mit den Fotograf*innen, die wir vertreten und mit dem Know-how, das wir hier in den Redaktionen haben, gut umsetzen können.“ (S. 102)
Planung bleibt wichtig
„Fotojournalist*innen denken längst nicht mehr nur in fotografischen Bildern, sondern arbeiten zusätzlich mit Video und Ton oder greifen auf Amateuraufnahmen und Found Footage zurück, um eingehend und umfassend zu berichten.“ (S. 406) Mit diesen Worten beschreibt Sofia Greiff in ihrem Artikel „Zwischen Fakt und Erfahrbarkeit – Erzählen an den kreativen Rändern des Fotojournalismus“ die Erwartung, die heute vielfach von Fotojournalist*innen erfüllt werden sollen, aber den Arbeitsablauf erschweren können. Diese Verdichtung von Arbeitsanforderungen spiegelt sich auch in Interviews mit Praktiker*innen, wie Marcelo Hernandez, festangestellter Fotograf des Hamburger Abendblattes, wider.
Im Interview „Planung ist einfach viel günstiger als Spontaneität“, welches Felix Koltermann mit ihm führte, äußerte sich Hernandez zu der Anforderung auch filmen zu müssen: „Ja, aber ich weigere mich. […] Ich genieße die Tatsache, dass ich momentan nur zum Fotografieren verpflichtet bin. Es wird aber sicherlich die Zeit kommen, wo das Video-Drehen zu meinem Job gehört.“ (S. 287) Was für die einen als Möglichkeit für kreative Auseinandersetzung und Repräsentation gesehen wird, scheint für die anderen eine grundlegende Veränderung des eigenen Berufes zu bedeuten, die nicht gewollt wird.
Besonders das Interview von Felix Koltermann mit Marcelo Hernandez zeichnet ein sehr realistisches und lebendiges Bild der aktuellen Arbeit eines Lokalfotografen in der Großstadt. Es werden sowohl logistische Überlegungen als auch der eigene qualitative Anspruch an die Arbeit dargelegt. Hernandez macht dabei aber auch auf seine ethischen Ansprüche aufmerksam und reflektiert über seine privilegierte Position als festangestellter Fotograf. Bereits beim Lesen des ersten Abschnittes über den digitalen Bildmarkt fällt jedoch auf, dass die Autor*innen von einer gewissen Grundkenntnis der Leserschaft ausgehen. Wörter wie „Super Video“ (S.91) sind nicht erklärt und das Buch enthält kein Glossar dieser Fachtermini. Die Erschließung der Begriffe aus dem Kontext fällt nicht immer leicht, besonders bei Begriffen mit verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten.
Zur Einführung der interviewten Personen und deren Berufe enthalten die Beiträge einen grau unterlegten Kasten, der die wichtigsten Eckdaten enthält. Leider ist dieser in den meisten Fällen mitten in einen Satz gelegt, sodass nicht nur der Text generell unterbrochen wird, sondern auch der Satz. Das stört den Lesefluss. So auch im Interview „Wir wollen Geschichte Raum geben“, was Florian Sturm mit Ingmar Björn Nolting und Kevin Mertens führte. Besonders schade ist jedoch, dass die Internetadresse des von Mertens mitbegründetem Emerge Magazins falsch angegeben ist, sodass das Onlinemagazin für jungen Fotojournalismus von der Leserschaft von Fotojournalismus im Umbruch nur über den Umweg der Suchmaschine gefunden werden kann.
Trotz des Hauptthemas des Buches wirkt die Bildauswahl im Interview „Von Fotojournalist*innen zu unabhängigen Bildautor*innen“ fragwürdig. Das Gespräch von Elke Grittmann mit Karen Fromm und Dirk Gebhardt geht auf wichtige Fragen bezüglich der Ausbildung von Fotojournalist*innen ein. Zwei der ausgewählten Bilder haben jedoch kaum Bezug zum Inhalt des Interviews und wenig visuellen Informationswert. Zum einen, einen Ausstellungsraum der Reihe #photographic #studies, die 2015 an der Fachhochschule (FH) Dortmund zu sehen war (S. 238), zum anderen einen Raum der Ausstellung re:vue der FH Dortmund beim Fotofestival Rencontres de la photographie d’Arles 2019 (S. 242). Sie zeigen Wände, an denen Fotografien ausgestellt sind. Sie erfüllen zwar den dokumentarischen Zweck, den Koltermann und Grittmann im Text „Krisenfaktor Journalismus – wie redaktionelle Praktiken fotojournalistische Bilder delegitimieren“ als einer der ursprünglichen Mehrwerte des Fotojournalismus definieren (S.318), jedoch wird der Leserschaft dadurch lediglich bewiesen, dass eine Ausstellung stattgefunden hat, welches sicher auch ohne diese Bilder klar ist.
Fotojournalismus im Umbruch ist ein aufschlussreiches Buch, welches eine weitreichende Darstellung der aktuellen Lage des Fotojournalismus liefert und dabei die Balance zwischen Systemkritik und kreativer Möglichkeit durch technische Innovation wahrt. Durch die Interviews mit Praktiker*innen gelingt ein direkter Einblick in die tägliche Arbeit in der Branche des Fotojournalismus. Ergänzt werden sie mit scharfen Diskussionen über Legitimität und Selbstverständnis bis hin zur Medienkompetenz der Konsument*innen. Dadurch gelingt es Fotojournalismus im Umbruch der Leserschaft sowohl den Status quo zu skizzieren sowie zum Nachdenken anzuregen, mit welchem Anspruch wir fotojournalistische Bilder konsumieren.
Quellenangabe: Elke Grittmann, Felix Koltermann (Hrsg): Fotojournalismus im Umbruch: hybrid, multimedial, prekär, Köln, Herbert von Halem Verlag, 2022.
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