Journalistische Bildkommunikation und die Sharing Economy
Hinter zwei schwarzen Autos türmen sich am Rande der Straße Eisbrocken auf. Sie erreichen fast die Höhe der Straßenlaternen. Ein Mann am rechten Bildrand hebt sein Smartphone in Gesichtshöhe, anscheinend filmt er oder bereitet ein Selfie vor. Am 24. Februar 2019 postet David Piano dieses und zwei weitere Fotos auf Twitter. Er schreibt dazu: „This ice tsunami is one of the craziest things I’ve ever witnessed. Starting to bulldoze trees and street lamps. […]“ Eine der Antworten, die er auf seinen Tweet erhält, stammt von einer Fotoredakteurin: „Hi David, I’m Julie Jacobson with the Associated Press in New York City. Did you shoot these photos of the ice shove in your tweet. If so can we use them?“ Pianos Antwort ist kurz: „Yes I did. Go ahead and use with credit.“ (Link zum Tweet)
Konversationen wie diese über Nutzungsrechte und dahinter liegende rechtliche, ethische und soziale Fragen des image sharing sind Gegenstand meines Forschungsprojekts „Hinter dem digitalen Bild. Fotografien auf Community-Plattformen und auf Twitter als Repositorien für maschinelles Lernen und journalistische Publikationen“ . Es ist eines von zwölf Projekten im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Das digitale Bild“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG, SPP 2172, Projektnummer 421462167).
Digitale Bilder als populäre visuelle Medien sind vernetzt und basieren auf sozio-kulturellen und sozio-technischen Interaktionen, die Technik, Gesellschaft und Individuen verbinden – sogenannte networked images. In meinem Projekt stehen Medienökologie, Zirkulation und Praktiken des image sharing, der Verhandlung von Nutzungsrechten und der Kommodifizierung des digitalen Bildes im Zentrum. Diese werden untersucht anhand von Aushandlungsprozessen über Augenzeug:innenmaterial, das von Fotoredakteur:innen für journalistische Medien akquiriert wird, und anhand von Fotoplattformen, die hochgeladene Bilder als Material für maschinelles Lernen nutzen. Zentrale Forschungsfragen sind: Wie werden Fotos, die zum Teil als citizen journalism verstanden werden können, von Bildagenturen in ihr Angebot integriert? Welche Zwecke verfolgen Fotoredakteur:innen, Fotokurator:innen und die Urheber:innen selbst? Welchen Einfluss hat nicht-menschliche Fotokuration auf ästhetische und inhaltliche Bild-Entscheidungen? Welchen Status hat Ethik in digitalen visuellen Kulturen?
Eingangs dargestellt ist eine exemplarische Konversation über Nutzungsrechte zwischen Augenzeug:innen und Fotoredakteur:innen. Nachdem Augenzeug:innen ihre Aufnahme getwittert haben – versehen mit Ortsangabe, einer Information, was auf dem Bild zu sehen ist und mitunter darüber hinausgehende Angaben wie etwa das Bezeugen einer Explosion –, nehmen Fotoredakteur:innen Kontakt auf. Manche stellen sich mit Namen und beruflicher Institution vor. Manche fragen, wie es den Augenzeug:innen geht, bevor sie in Varianten fragen, das besagte Foto nutzen zu dürfen: „May I use your photo?“, oder: „Did you take these pics? Could we use them?“ Oft antworten AugenzeugInnen mit einem einfachen „yes“, mitunter bitten sie um nähere Angaben via Direktnachricht. In Einzelfällen senden Fotoredakteur:innen Einverständniserklärungen mit, die in der Regel die zeitlich und räumlich unbegrenzte Nutzung des Fotos vorsehen, auch für noch nicht bekannte Medienformen.[1] Ein Honorar wird nicht angeboten, und in der Regel fragen AugenzeugInnen auch nicht danach – vermutlich, weil sie sich nicht als Fotojournalist:innen verstehen, und ihr Foto und seine weitere Verbreitung nicht unter Aspekten der Verwertbarkeit sehen. Manche behalten sich vor, dass ihre Fotos nicht zu Werbezwecken verwendet werden und sagen entsprechende Anfragen ab. Es ist unklar, ob sich die Augenzeug:innen bewusst sind, welche Nutzungsrechte sie in welchem Umfang abtreten. Eine These ist, dass sich in dieser Art von Konversation und Verhandlung von Nutzungsrechten ein Einfluss der sharing economy[2] auf journalistische Bildkommunikation abzeichnet: image sharing an der Schnittstelle Amateur- und journalistischer Bildkommunikation übernimmt Praktiken der sharing economy, des unentgeltlichen Teilens und Weiterverbreitens von Inhalten, die zugleich über (Be-) Wertung durch Likes hinausgehen.
Neben Social Media-Plattformen wie Twitter, die einem breiteren Publikum bekannt und in breiter Varianz beforscht sind[3], gibt es auf fotografische Bilder spezialisierte Internet-Plattformen, die sich an ambitionierte Amateurfotograf:innen richten und von frühen Foto-Community-Plattformen wie Flickr inspiriert sind. Über die Community – in der fotografisch Interessierte gegenseitig ihre Bilder kommentieren und Praxistipps geben – unterhalten diese Fotoplattformen Vertriebspartnerschaften zu kommerziellen Bildagenturen. Ihren Mitgliedern versprechen diese Fotoplattformen, dass die besten Bilder monetarisiert werden können über diese Vertriebspartnerschaften. Sie bieten automatische Verschlagwortung sowie eine automatische Analyse des ästhetischen Gehalts hochgeladener Bilder. Die Verschlagwortung ist in der Regel (noch) wenig detailliert – also in Oberbegriffen wie etwa Berg, Mensch, Outdoor – und entsprechen nicht den Standards etwa der Verschlagwortung der sogenannten W-Fragen (wer, wann, was, wo, warum etc.) in journalistischen Bildagenturen. Was für Produser:innen vor allem praktisch ist, wirft Fragen auf, etwa nach den Unterschieden in Ästhetik und Auswahl von Fotos durch menschliche versus nicht-menschliche Fotokuration. Hinter dem sichtbaren digitalen Bild stellt sich die Frage, ob wir künftig noch von Bildagenturen und Fotoplattformen sprechen können, oder ob diese nicht vielmehr Technologieunternehmen sind, für die Daten das eigentliche Geschäftsmodell sind und nicht ‚das Bild‘.
Das Zusammenspiel von image sharing, Internetplattformen und Nutzungsrechten sowohl für Bilder, die dem citizen journalism zuzurechnen sind, als auch für Bilder, die als crowdsourced images verwendet werden, wirft eine Vielzahl an Forschungsfragen auf, die in diesem Beitrag nur exemplarisch aufgezeigt werden können. Diese untersuche ich in meinem Projekt „Hinter dem digitalen Bild“ mit multidimensionalen Methoden, unter anderem Medienethnografie, digitalen Methoden und qualitativen Ansätzen. Fotoredakteur:innen, Fotojournalist:innen und Social Media-Produser:innen, die Erfahrungen mit in diesem Artikel beschriebenen digital photo sharing-Praktiken gemacht haben, sind herzlich zur Kontaktaufnahme eingeladen.
Zum Weiterlesen
Eine längere Fassung dieses Artikels erschien zuerst unter dem Titel “Hinter dem digitalen Bild. Fotografien auf Community-Plattformen und auf Twitter als Repositorien für maschinelles Lernen und journalistische Publikationen” in Fotogeschichte. Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie, 2/2020, 55-58,(online).
Ein Artikel mit ersten Teilergebnissen mit dem Titel „‚Wow! Haben Sie diese Bilder gemacht? Könnten wir sie verwenden?‘ Fotojournalismus auf Twitter an der Schnittstelle von Augenzeuginnen und Fotoredakteuren“ erschien in Rundbrief Fotografie, 2/2020, 53-58 (Beitrag nicht online, Link zum Journal).
Mitglieder der Fachgesellschaft IAMCR können im Rahmen der coronabedingt virtuellen Konferenz 2020 Reimagining the Digital Future. Building Inclusiveness, Respect and Reciprocity vom 13.7. bis 12.9.2020 eine Videopräsentation meines Projektes und eine erste englische Fassung des Papers online einsehen und kommentieren. [Programm der Visual Culture Working Group VIC]
[1] Evelyn Runge: Bilddatenbanken, Social Media und Artificial Intelligence, in: POP. Kultur und Kritik, Bd. 12, Nr. 1, 2018, 108–113.
[2] Nicholas A. John: The Age of Sharing, Malden, MA 2017 (Rezension online).
[3] Katrin Weller, Axel Bruns, Jean Burgess, Merja Mahrt, Cornelius Puschmann: Twitter and Society, New York et. al. 2014; Alfred Hermida, Seth C. Lewis, Rodrigo Zamith: Sourcing the Arab Spring: A Case Study of Andy Carvin’s Sources on Twitter During the Tunisian and Egyptian Revolutions, in: Journal of Computer-Mediated Communication, Bd. 19, Nr. 3, 4.2014, 479–499.
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