In der Mitte das Bild – ein Workshopbericht
„Diejenigen, die sich nicht auf neue Methoden einlassen, müssen immer wieder mit den alten Unzulänglichkeiten rechnen. Zeit ist nämlich der größte Erneuerer.”
Was Francis Bacon 1625 in seinen Essays „Of Innovation” schrieb, war auch Thema des Workshops „Das digitale Bild – Methodik und Methodologie: fachspezifisch oder transdisziplinär?“ am 12. und 13. November 2020. Ganz im Sinne des digital und transdisziplinär ausgerichteten SPPs diskutierten hierüber die Teilnehmenden der zwölf Projekte mit geladenen Expert*innen und interessiertem Publikum online über Zoom. In drei Panels wurden verschiedene Aspekte der fachspezifischen und transdisziplinären Methodik und Methodologie rund um die Erforschung des digitalen Bildes erörtert: Panel I war dem Thema der Maschine gewidmet. Welche Bedeutung kommt dem Computer im Erkenntnisgewinn zu? In welchem Verhältnis stehen quantitative und qualitative Zugriffe in traditionell hermeneutischen Wissenschaften? Panel II befasste sich mit den sozialen Herausforderungen eines im weitesten Sinne digitalen Bildes. Es wurde diskutiert, inwieweit etwa durch Creative Collaboration, Citizen Science und Crowdsourcing unsere Vorstellungen von Forschung sowie die Hierarchisierung von Kulturschaffenden und -rezipierenden revidiert werden können. Panel III war schließlich dezidiert Fachkulturen und disziplinärer Offenheit gewidmet. In unserem Beitrag erinnern sich die beiden Koordinator*innen des SPPs, Hanni Geiger und Julian Stalter, sowie die Hilfskräfte Elisa Ludwig und Ricarda Vollmer an Vorträge und Aspekte, die sie aus dem zweitägigen Workshop mitgenommen haben.
Transparenz
Projektkoordinatorin Hanni Geiger:
„Was alle Beiträge in den Panels eindrücklich gezeigt haben, ist zunächst die Notwendigkeit, bei der Untersuchung des digitalen Bildes die eigene Methode bzw. das Methodische überhaupt transparent zu machen. Mit der Offenlegung der Vorgehensweisen zeigt sich weiteres: Etablierte Forschungsansätze sind unbedingt zu hinterfragen und in Bezug zu fachfremden Methoden zu setzen. Wie komplex und spezifisch diese sein können, haben Katharina Geis und Sarah Ullrich in ihrer Untersuchung des digitalen Bildes aus ethnografischer Perspektive gezeigt. Indem sie digitale Praktiken mit dem untersuchten Material, der Praxis des Kuratierens (Praktiken der Besucher im Museum und darüber hinaus) und ethnografischen Beobachtungen selbstverständlich verbanden, fokussierten sie das Verhältnis und nicht die Separierung oder Hervorhebung einzelner Vorgehensweisen, was schließlich zum Grundtenor aller beteiligten Projekte erklärt wurde.
Die Keynote ‘Wiederholende und wiederholbare Forschung in den Digital Humanities’ Christof Schöchs – von Haus aus Romanist – bekräftigte die Notwendigkeit nach unterschiedlichen, vermeintlich in Opposition zueinander stehenden methodischen Vorgehensweisen im SPP: Anhand vielfacher Beispiele der digitalen Literaturwissenschaft wog Schöch klug zwischen traditionell geisteswissenschaftlich-qualitativen und computergestützt-quantitativen Methoden ab. Schöch zeigte, dass im Sinne einer Methodenvielfalt auch in den hermeneutischen Geisteswissenschaften Erkenntnisse mittels quantitativer Methoden überprüft, erneuert oder sogar revidiert werden können. Dass Erkenntnisse stets nachvollziehbar sein müssen, um nachfolgender Forschung Revision oder Weiterentwicklung zu ermöglichen, berührt dabei nichts weniger als den Grundsatz jeder Wissenschaft. Der von Schöch vorgestellte Modus des Forschens erschöpft sich demnach keinesfalls nur in textorientierten Disziplinen, sondern ist auch auf die Bildwissenschaften zu übertragen, mit denen das SPP operiert. So können Fragestellungen, die qualitativ von Interesse sind, mittels quantitativ-rechnerischer Methoden etwa im ‚distant viewing‘ nachgespürt werden. Der Annahme, komplexen und kontextabhängigen künstlerischen Werken als Gegenstand der Forschung unseres Projektes sei mit rechnerischen Methoden nicht nachzukommen, kann entsprechend entgegnet werden: Das eine (quantitative Forschung) schließt das andere (qualitative Forschung) nicht aus. Das schöne Bild eines Musikensembles, das Schöch für die Digital Humanities fand, kann schließlich auf das SPP übertragen werden. Denn wie in einer Jazzband heißt Zusammenarbeit in einem Forschungsprojekt zwar, dasselbe Ziel zu haben, doch gerade nicht, dass alle dasselbe machen.”
Projektkoordinator Julian Stalter:
„Transparenz bedeutet manchmal ja nicht nur die Offenlegung der eigenen Methoden, sondern auch die Entwicklung einer Methode, um überhaupt erst Transparenz herzustellen. Wie Matthias Wright in seinem Vortrag zur qualitativen und quantitativen Evaluation von Bildern gezeigt hat, wird dies im Zeitalter digital generierter Bilder immer wichtiger. Bei der Analyse von ‚Ähnlichkeit’, aber auch – wie sich in der anschließenden Diskussion zeigte – darüber hinaus in Bezug auf ‚Echtheit’. So ändert sich der Bildbegriff durch synthetisierte Bilder und die Frage bleibt letztlich offen, was genau denn ‚Echtheit’ in Bezug auf das digitale Bild definiert. Meint es eine fotorealistische Abbildung oder doch ganz klassisch eher die Zuschreibung eines Werkes zu einem/einer Urheber*in? Und diese Dimension muss nicht bei algorithmisch erstellten Bildern stehen bleiben: Die Frage nach ‚fake representations’ in digitalisierten japanischen Querrollen, die von Fengyu Wang im darauf folgenden Vortrag aufgeworfen wurde, mag dafür als Beispiel dienen. Denn ändert sich nicht die Ästhetik eines Objekts wie einer Papierrolle, wenn durch sie mit dem Mauszeiger gescrollt und sie nicht mehr stückweise händisch aufgerollt wird? Spannend wird es auch bei Architekturbildern, wie Dominik Lengyel und Catherine Toulouse aufzeigten: Insbesondere digitale Architekturmodelle bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Wirklichkeitsnähe und neuen Möglichkeiten der Bildgenerierung und -bearbeitung. Mit der Echtheit’ digitaler Bilder sind auch Fragen nach ‘Fehlern’ verbunden. Diese Dimensionen müssen in der Methodendiskussion des digitalen Bildes berücksichtigt werden.”
Theorie und Praxis
Julian Stalter:
“Dass Methodenfragen immer auch eine Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis mit einbeziehen, wurde im Vortrag von Jens Ruchatz und Kevin Pauliks deutlich: Die von ihnen vorgenommene Ausdifferenzierung von implizitem und explizitem Bildwissen in Memes aus sozialen Medien wurde insbesondere durch das Vorstellen der Bildpraktiken und Genese dieser Bildgattung deutlich. In ihrer Unterscheidung des ‘knowing how’ and ‘knowing that’ – in Anlehnung an den Philosophen Gilbert Ryle – versuchten Ruchatz und Pauliks weiterhin eine Verortung von ‘Können’ und ‘Wissen’ in ihrer methodischen Reflexion von Bildwissen als Methode anzuwenden. Wie Christoph Ernst in der abschließenden Diskussion herausstellte, ist dieser Ansatz beispielsweise auch für Künstliche Intelligenz wichtig: So können die Algorithmen durch Meta-Informationen eine Instanz des ‘knowing how’ bilden, trotzdem aber nicht über Wissen im Sinne des ‘knowing that’ verfügen.
Hochaktuell und methodisch im Spagat zwischen Theorie und praktischer Anwendung befand sich auch der Vortrag von Moritz Queisner und Kathrin Friedrich ‘Adaptive Anatomie: Durchschaubarkeit von Körper und Bild in der Chirurgie’. Mithilfe von ‘Echtzeit-Bildgebungen’ statt realer Körper ist besonders in der minimalinvasiven Chirurgie eine multimediale und -modale Schnittstelle zwischen Chirurg*innen und Patient*innen entstanden. Diese adaptiven, digital gerenderten oder generierten Bilder und die damit verbundenen Interfaces interessieren Queisner und Friedrich. Wie sich in der Diskussion herausstellte, ist dabei von besonderer methodischer Relevanz, wo sich die genaue Positionierung der Forscher*innen zwischen Reflexion und beratender Tätigkeit verortet. Soll das Projekt und damit die verbundenen Fragestellungen eher bildwissenschaftlich untersuchen oder konkrete Anwendbarkeit der Ergebnisse in einem klinischen Kontext anstreben?”
Transdisziplinarität
Elisa Ludwig und Ricarda Vollmer:
“Peter Geimer stellte die Frage nach dem auch forschungspolitisch interessanten Verhältnis von Geistes- und Naturwissenschaften. In Anlehnung an Hans Ulrich Gumbrechts Diktum, man müsse erst die eigene Disziplin stark machen, um dann transdisziplinär arbeiten zu können, stand zur Disposition, wo ein Drittes entsteht, wo also nicht jede*r der eigenen Disziplin verhaftet bleibt. Dabei wurde festgestellt: Wichtig für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen ist die Prämisse, dass weder Naturwissenschaften noch Geisteswissenschaften zu Hilfswissenschaften degradiert werden (Martin Langner, Lucie Böttger, Alexander Zeckey). Hubertus Kohle forderte hierbei zur Selbstreflexion in den Fächern auf: Ziel der Digital Humanities sei es, Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Darauf aufbauend sah Hubert Locher ein großes Potenzial des SPPs: Die Erforschung der unterschiedlichen Existenzweisen des digitalen Bildes sei es, was die einzelnen Projekte vereine, aber zugleich auch vielfältige Betrachtungsweisen ermögliche.”
Transformation
Julian Stalter:
“Methodische Diskussion klingt zunächst sehr spezifisch, vielleicht sogar ein wenig dröge, aber besonders in der Auseinandersetzung mit der digitalen Transformation wird deutlich, wie sich gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen in neuen Anforderungen und Fragestellungen an Methoden widerspiegeln. Im Vortrag von Evelyn Runge zu Co-Creation im (Para-)Fotojournalismus etwa, in der neue Machtverhältnisse zwischen ‘User’ und ‘Producer’ im sogenannten ‘Produser’ verschmelzen. Hier könnte eine Fragestellung in Hinblick auf die Methoden eben diese verschiedenen Perspektiven und damit verbunden sozialen Hierarchien und Gemengelagen reflektieren. Doch nicht nur der ‘User’ transformiert zum ‘Produser’, auch der Künstler kann zum Programmierer werden, wie Daniela Hönigsberg in ihrem Vortrag ‘Code: analysieren – vergleichen – visualisieren. Methoden zur Untersuchung von Computercode in Kunstwerken’ aufzeigt. Damit stellt sich aber auch eine enorme methodische Herausforderung für den/die Kunsthistoriker*in: Wie sollte beispielsweise der Quellcode in eine Analyse einbezogen werden? Und daran anschließend die größere Frage: Ist Quellcode überhaupt Kunst?”
Hanni Geiger:
“Trotz der sehr unterschiedlichen Beiträge in den einzelnen Panels ließ sich festhalten: Das Hinterfragen fachspezifischer Untersuchungsweisen steht gleichsam für die Bereitschaft, methodisch interdisziplinär zu agieren. Dabei sollten im Fokus dieser fächerübergreifenden Erforschung des digitalen Bildes gegenseitige bzw. gleichberechtigte Ergänzungen stehen. Daran anknüpfend stand das grundsätzliche Verhältnis von Geistes- und den Naturwissenschaften zur Debatte, wobei an die Stärkung des jeweils eigenen Faches appelliert wurde. Für die Kunstgeschichte – so ließ sich mutig konstatieren – würde die erweiterte Methodendiskussion in letzter Konsequenz nicht weniger als eine Neukonzeption des stellenweise festgefahrenen Faches bedeuten.”
In der Mitte ist das Bild
Elisa Ludwig und Ricarda Vollmer:
“Im Sinne der erläuterten Trias von Transparenz, Transdisziplinarität und Transformation schrieb Justus Liebig im 19. Jahrhundert: ‘Die Wissenschaft fängt eigentlich erst da an, interessant zu werden, wo sie aufhört.’ Bezogen auf das SPP bedeutet das: Jede Wissenschaft hat ihre Erkenntnisziele und historisch gewachsenen Wege, um an diese Ziele zu gelangen. Das bedeutet auch, dass jede Wissenschaft für sich genommen epistemologische Grenzen hat. In einem gemeinschaftlichen Projekt wie dem SPP gilt es, im Bewusstsein über die Unterschiedlichkeit der Methoden verschiedenster gleichberechtigter Disziplinen diese Grenzen oder – mit dem eingangs zitierten Francis Bacon gesprochen – ‘alten Unzulänglichkeiten’ wenigstens neu in Frage zu stellen, bestenfalls sogar zu überwinden. Im Pluralismus der methodisch-methodologischen Herangehensweisen des transdisziplinär ausgerichteten SPPs treffen sich alle Fachdisziplinen in einem Punkt: In der Mitte ist das Bild.”
Alle Vortragsmitschnitte des Workshops können Sie hier anschauen.
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