DIGITAL BODY IMAGES

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Künstliche Intelligenz und das neue Körperbild

In den Medien und in der Kunst begegnen uns Bildnisse von Menschen, die niemals gelebt haben. Sie wurden von einer KI (Künstlichen Intelligenz) bzw. einem GAN (generative adversarial network) nach Vorbildern etwa aus Stock Photography und Bilddatenbanken nachgeahmt bzw. täuschend echt simuliert.i Verwendungszweck und Einsatz dieser nahezu fotorealistischen, jedoch rein synthetischen digitalen Bilder liegen beispielsweise in der Werbung und der Game Design-Industrie. Die Verfahren dieser neuartigen KI-unterstützten Bildgenerierung werden aber auch etwa für eine archäologische respektive historische Rekonstruktion und spekulative Visualisierungen im Kultur- und Bildungsbereich eingesetzt. Sie lassen sich ferner in der Social Media, hier vor allem in Fake Accounts und Bot-Aktivitäten auffinden, und können dabei auch noch zu persönlichen KI-Assistenten animiert werden.

Daneben sehen wir in den Künsten digitale Körperbilder, die nach dem gleichen technologischen Verfahren von einer KI generiert wurden (Abbildungen: Pam Scorzin x DreamDiffusion, 2022), uns jedoch bisweilen bizarr und unheimlich, surrealistisch und wie zufällig collagiert (ähnlich dem populären Mash-up-Verfahren) erscheinen, als hätte sie eine lebensähnliche KI-Bildmaschine halluziniert oder erträumt – so auch das gängige metaphorische Narrativ der KI-Kunst nach der Entwicklung des Computer Vision Programms DeepDream 2015 durch Alexander Mordvintsev. Diese KI-generierten Bilder erscheinen uns oftmals als eine digitale Synthese aus biologischen Mustern, geologischen Strukturenund malerischen Abstraktionen der Klassischen Moderne. Vor allem aber referieren sie auf dem dominierende Bildkulturen und gängige Vorstellungen einer breiten Masse, was Kunst(-Geschichte) ist, denn sie basieren vielmals auf den kollektiv kuratierten Bilddatenbanken des Internets, mit denen die smarten Algorithmen von den EntwicklerInnen und ProgrammiererInnen trainiert werden.

Zeitgenössische KünstlerInnen wiederum experimentieren mit diesen neuen Softwareprogrammen und schaffen dabei konzeptuelle Körperbilder, die die verbreiteten Narrative der KI-Technologie, etwa ihre Mythologisierung und Mystifizierung zu menschenähnlichen Kreat(e)uren unterlaufen und beispielsweise eine vorhandene Bias (d. h., algorithmische Verzerrung) der zugrundeliegenden KI-Trainingsdaten hervorheben; sie wie etwa Jake Elwes dafür originell queeren.ii Der britische Künstler durchkreuzt mit seiner “Zizi Show” ‘kabarettistisch’ sowohl das in den Programmiercode als auch tief in die westliche Visuelle Kultur eingeschriebene binäre Denken, indem sie inhaltlich und formal mehr Diversität einfordert.

Oder sie inszenieren wie das Künstlerduo CROSSLUCID in ihrer Reihe “Landscapes”iii (seit 2020) fantasievolle Spekulationen über den menschlichen Körper der Zukunft jenseits der Dialektik von Natur und Künstlichkeit, jenseits von Geschlecht, Alter und Ethnien, indem es im digitalen Bild vielmehr dessen Kondition der latenten Vernetztheit und dessen charakteristisches Transitions- und Evolutionspotential imaginieren respektive szenografieren  – als einen dynamisch-iterativen Prozess, der sich im Werk durch Glitches und Blurries, digitale Mash-ups, synthetisches Mishmash und Morphing-Effekte hypostasiert.

 

Bildtechnologie und Körperbild

Wie sieht nun das neue Verhältnis von Bildtechnologie und Körperbild dabei aus?

Digitalisierung und Automatisierung, Machine Learning und Künstliche Intelligenz sowie ihre zugehörigen Diskurse in den aktuellen Technowissenschaften verändern nicht nur den modernen Kreativitäts- und Geniebegriff in unserer nachmodernen Kultur, sondern gleichzeitig eröffnet der weitreichende Einsatz von intelligenten Algorithmen und künstlichen neuronalen Netzwerken (KNN) in der Visuellen Kultur ebenfalls neue Fragen zur Identität und ihrer Repräsentation. Sowohl das Verhältnis von menschlichen und nicht-menschlichen ProduzentInnen im Besonderen als auch das Verhältnis von Artefakt und Naturnachahmung im Allgemeinen stehen dabei neu im Fokus, während zunehmend hybride Netzwerke eine Ko-Existenz und Ko-Kreativität von Mensch und Maschine forcieren und dabei Autonomie wie Autorschaft zur Disposition stellen. Die technisch induzierte Kollaboration manifestiert sich in der algorithmisierten Ästhetik einer Digitalmoderne, welche sich zugleich von einer rein anthropozentrischen (Welt-)Sicht zusehends abwendet und auch das autonome, singulär kreative Individuum in Frage stellt.

Zeitgenössische KünstlerInnen wie beispielsweise KI-Kunst-Pionier Mario Klingemann, Memo Atken, Jake Elwes, Trevor Paglen oder Pierre Huyghe reflektieren in ihren KI-Werken auf unterschiedliche Weise mit verschiedenen Praktiken und künstlerischen Strategien exemplifizierend den aktuellen Einfluss von Künstlicher Intelligenz auf die digitale Bilderproduktion, die insgesamt gesehen, mehr und mehr zu einer hierarchielosen Kooperation von Mensch und intelligenter Maschine gerät. Dabei entstehen innovative und originelle Formensprachen sowie neue ästhetische Wirkungsweisen aus der Ko-Kreativität und Ko-Existenz menschlicher und nicht-menschlicher Akteure in einem komplexen Netzwerk. Biologische und abiotische Agenten handeln wie in Pierre Huyghes “UUmwelt” (seit 2018) gemeinsam in einem Milieu kreativ und stoßen kollektiv generative Gestaltungsprozesse aniv. Deren Verlauf und Output sind für den Menschen dann auch nicht mehr gänzlich vorhersehbar und unterscheiden sich graduell von dessen Gestaltungsweise. 

Die digitalen Produktionen bleiben jedoch auch scheinbar dem Kombinatorischen, Aleatorischen und Iterativen eines technischen Gestaltungsprozesses verhaftet. Kann daraus noch eine Kunst resultieren, die die Wirklichkeit repräsentiert oder sie nunmehr vielmehr generiert, hyper-simuliert? Auf welche biologischen Organismen referieren die aus dieser Ko-Kreativität mit den diversen Netzwerken hervorgegangenen digitalen Bilder? Und welche Art von neuen Körpervorstellungen werden in der KI-Kunst letztlich intendiert? Im Folgenden wage ich eine erste Definition und beschreibe die algorithmisierte Ästhetik dieser neuartigen, von KI mitgeschaffenen digitalen Körperbilder als virtuell, variabel und viabel. Sie beschwört fluide wie flexible Identitäten herauf, die sowohl Transspezien sind als auch den Supersapiens hervorsehen.

Ein kurzer Rückblick: Seit den 90er-Jahren verstehen wir die biologische DNA zunehmend auch als einen Art biochemischen Code, der einem Programm aus Algorithmen vergleichbar ist und den biologischen Körper mit neuen Techniken wie dem Genome Editing oder CRISPR-Cas9 zu einem frei modellierbaren Organismus werden lässt. Blockbuster-Filme wie Jurassic Park und Matrix setzten diese kodierte Verfasstheit von biologischem Organismus und Digitalbild in eine damals spektakuläre Analogie. Pflanzen, Blumen, Körper und Mischwesen dienen deshalb bis heute vielen KI-KünstlerInnen (siehe etwa Hito Steyerls “Power Plants” 2019) als prominentes Motiv und subtile Referenz für ihre algorithmisierten Werke.

 

Dynamische hybride Netzwerke generieren und kreieren neue Körperbilder

Den Homo sapiens als ein autonomes, singulär zur Kreativität und Intelligenz befähigtes Individuum zu sehen, wird gegenwärtig durch trans- und posthumanistische Konzepte erodiert, die vielmehr auf dessen generelle Vernetzheit – ökologisch, kulturell und technologisch – verweisen.

Die US-amerikanische Künstlerin Lynn Hershman Leeson etwa arbeitet bereits seit Jahrzehnten mit der Idee eines “transgenic Cyborgs” (2000). Denn dynamische hybride Netzwerkstrukturen, die von menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren, von biologischen, anorganischen und technologischen Entitäten als kreativ handelnde Agenten gebildet werden, bestimmen zunehmend unser nachmodernes Leben. Während umfassende und hochkomplexe, rein technologische Netzwerke als Epitom der ‘Digitalisierung’ der Gesellschaft wahrgenommen werden, die für viele mit Transformation und Disruption einhergehen, experimentieren EntwicklerInnen wie KünstlerInnen derweil mit weiteren Change-Makern wie beispielsweise dem Quantencomputer oder Biomedien, welche heute ebenfalls einen neuen, nicht mehr rein anthropozentrischen Blickwinkel und neuen Kreativitätsbegriff einfordern. 

Als wahre Gamechanger gelten hierbei die jüngsten Entwicklungssprünge auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz (KI)v und des Quantum Computing, die neuartige Gestaltungs- und Visualisierungsprozesse in Kunst und Design hervorbringen und gegenwärtig als spektakuläre technisierte Ästhetiken der Kulturen der Digitalität wahrgenommen und erfahren werden. Mit ihnen wird auch eine neue Natur des Menschen imaginiert, die als Evolution des Homo sapiens über den Cyborg zum Supersapiens angesehen wird.

Während im Zuge der industriellen Revolution vorwiegend physische Tätigkeiten von (mechanischen) Maschinen übernommen wurden, werden jetzt im Zuge der umfassenden Digitalisierung der Gesellschaft, insbesondere mit KI-unterstützten Technologien, zunehmend auch anspruchsvollere respektive kognitive wie beispielsweise kognitive und kreative Tätigkeiten automatisiert, die mit den naturgegebenen Fähigkeiten und kulturellen Fertigkeiten des Homo sapiens nunmehr rivalisieren: Jetzt schon können seine technischen Erfindungen sich auch autonom weiterentwickeln, wenn beispielsweise KI-Software selbst neue Programme schreibt.

Wie Mitte des 19. Jahrhunderts die apparative Technik der Fotografie, welche die Bilderproduktion zusehends mechanisierte, aber in ihrer Anfangszeit als eine Art von ‘Naturmagie (William Talbot) angesehen wurde, erscheint heute Vielen auch die Künstliche Intelligenz als eine magische Bildtechnologie, der etwas Zauberisches anhaftet, während sie einer lebensähnlichen Produzentin entspringt. Der Eindruck des Zauberns wird indes noch durch neue Text-Bild-Programme wie Dall-e, Midjourney und Stable Diffusion verstärkt: Hier blickt das Publikum derzeit gebannt und staunend auf die bislang ungeahnten und ungesehenen digitalen Bildproduktionen, die sich quasi auf eine Beschwörung der Maschine hin (d. h., durch Eingabe von Prompts) aus dem Nichts bilden. Zaubern bedeutet jedoch das Spiel mit der Illusion. Hinter den neuen KI-Produktionen stehen zuvörderst algebraische und stochastische Bildberechnungen – auch wenn sie von noch so die Illusion befördernden anthropomorphen Maschinen vorgeführt werden, welche sich auf den Bühnen der Medien als deren einzige Schöpfer ausgeben.

© Pam Scorzin x DreamDiffusion: AI Humans, 2022
© Pam Scorzin x DreamDiffusion: AI Humans, 2022
© Pam Scorzin x DreamDiffusion: AI Humans, 2022
© Pam Scorzin x DreamDiffusion: AI Humans, 2022
© Pam Scorzin x DreamDiffusion: AI Humans, 2022

KI und Kreativität in den Künsten
Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts hat 
einer der Ursprungsorte des KI-Siegeszuges, das Silicon Valley, neue (symbolische) Visionen der Welt hervorgebracht, sowohl im übertragenen als auch im konkreten Sinne, die bereits als global wirksam zu beobachten sind: Seine Visionen und programmierten Vorlieben spiegeln sich gerade auch in der technisierten Ästhetik der digitalen Künste und im computergestützten Design wider, welche seine Erfindungen und avancierten Technologien zusehends als neue Instrumente nutzen oder kritisch reflektieren. Künstliche Intelligenz kann in diesem Kontext gesehen sowohl Technik als auch Thema sein: Intelligente Algorithmen und künstliche neuronale Netze haben es smarten Maschinen wie etwa (humanoiden) Robotern in den letzten Jahren beispielsweise nicht nur ermöglicht, (scheinbar autonom) kreativ zu werden und diese exzeptionelle Fähigkeit auch performativ auf den Bühnen der Kunst zu demonstrieren. Darunter zählt zum Beispiel derzeit der ‘ultra-realistische humanoide Künstler-Roboter’ Ai-Da, zu dem sein Oxforder Schöpfer Aidan Meller festhält: Heute herrscht die Meinung vor, dass Kunst vom Menschen für andere Menschen geschaffen wird. Dies war nicht immer der Fall. Die alten Griechen glaubten, Kunst und Kreativität kämen von den Göttern. Inspiration war göttliche Inspiration. Heute ist die vorherrschende Denkweise die des Humanismus, wonach Kunst eine rein menschliche Angelegenheit ist, die auf menschliches Handeln zurückgeht. Die derzeitige Denkweise deutet jedoch darauf hin, dass wir uns vom Humanismus entfernen und in eine Zeit eintreten, in der Maschinen und Algorithmen unser Verhalten in einem Maße beeinflussen, dass wir nicht mehr nur selbst handeln. Sie wird allmählich an die Entscheidungen und Vorschläge von Algorithmen ausgelagert, und die vollständige menschliche Autonomie scheint nicht mehr so stabil zu sein. Ai-Da schafft Kunst, weil Kunst nicht mehr allein durch die Anforderung der menschlichen Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden muss.vi [Übersetzung d. Verf.]

Somit sind die von einem Team aus EntwicklerInnen und IngenieurInnen geschaffenen KI-Entitäten wie Ai-Da, Hiroshi Ishiguros Ericaviioder Hanson Robotics’ Sophiaviii nach Margaret Bodensix prominenter Definition von Kreativitätdurchaus ‘autonom’ kreativ, wenn auch nach anderen Maßstäben als jene für menschliche Akteure, und mit dem feinen Unterschied, dass sie nicht mehr nach der Natur, sondern mit derer Verdataisierung und Mediatisierung gestalten.

Anika Meier und der Digitalkünstler Manuel Rossner ergänzen, dass der freie Wille und das Bedürfnis, sich kreativ auszudrücken, die moderne Kunstschaffende vielmals antreiben, sowie die Fähigkeit wie Fertigkeit, künstlerisch-gestalterische Ergebnisse auf der Basis eines subjektiven Konzepts oder persönlichen Geschmacks zu bewerten und weiterzuentwickeln, beim kreativen Roboter Ai-Da jedoch (noch) völlig fehlenx, wie auch sein ‘Personalstil’, seine künstlerische Signatur epigonenhaft bliebe, da sie ein Amalgam aus Bekanntem (nämlich, moderne Kunst) und musterhaft Antrainiertem wäre. Würde man also eine malende KI-Entität fragen, was Kunst ist, lautete dann die Antwort vielleicht nur “ein Wort”? Gut genug also für einen Treppenwitz der Kunstwissenschaft, der vielleicht auch etwas über die Verlegenheit verhilft, dass doch auch vielen Menschen es eher schwerfällt, intersubjektiv und überzeitlich zu definieren, was Kunst eigentlich ist – etwas, das schon immer mit dem Mysterium der Inspiration behaftet scheint und daher auch der Eingebung des Nicht-Menschlichen, etwa der Musen, eines Gottes, höheren Wesens oder des Genies bedurfte. Sind Algorithmen also lediglich die neuen Musen nachmoderner KünstlerInnen und DesignerInnen?

In der populären AI ART von Refik Anadol bricht die avancierte KI-Technologie ebenfalls nun selbst als ein ‘übermenschlich leistungsstarkes’ Modellierungs- und Visualisierungsmedium und als kreativer Ko-Produzent performativ hervor, der das Publikum als Akteur sinnlich überwältigt. Diese vernetzte KI-Kunst ist virtuell, variabel und viabel. Neue Hardware- und Software-Entwicklungen ermöglichen hier bislang ungesehene algorithmisierte Ästhetiken (jenseits menschlicher Vorstellungskraft) und damit auch neuartige Repräsentationen der (Um-)Welt, die primär auf ihren rechnerischen Daten und gesammelten Informationen basiert.

Wohl am eindrücklichsten und populärsten können wir dabei die neuen rechnerischen Ko-Kreat(e)uren, die neuartige digitalisierte Körper(-bilder) und Welten mitgestalten, im CGI-Fantasy-Genre der Computerspiele und Sci-Fi-Filmweltenerleben.

Welches (nicht-menschliche) Verständnis und evidenzbasierte Wissen von der Welt aber bringt KI jedoch in der zeitgenössischen Kunst und im Design hervor? Welche Evidenzen entstehen, wenn die KI wie bei Refik Anadol oder Ouchhh auf massiven Datenmengen und ihrer algebraischen Verarbeitung respektive leistungsstarken Mustererkennung basiert? Und, wie sehen eigentlich künstlich intelligente Einheiten und robotronische KI-Wesen wie Ai-Da, Erica oder Sophia die (Um-)Welt, und wie nehmen sie dabei sich selbst und uns Menschen als Ko-Existenzen wahr?

Die interaktive wie auch dialogische KI-Installation TRUST.AI (2021) von Bernd Lintermann und Florian Hertweckdemystifiziert KI und ihre EntwicklerInnen zunächst einmal als reine Datenkrake, die zuvörderst aus Big Data Profile wie Profite zu extrahieren hilft, denn: Daten sind das »Öl des 21. Jahrhunderts« lautet ein populärer Satz. Möchte man eine leistungsfähige KI trainieren, benötigt man viele und gute Daten. Deswegen sind die großen Internetgiganten, aber auch viele Staaten daran interessiert, auf immer neuen Wegen Daten über uns zu erheben. Anwendungsmöglichkeiten eröffnen sich häufig erst viel später mit der Weiterentwicklung der Technologie und der Zusammenführung unterschiedlicher Datenquellen. Dabei tragen schon die von uns völlig selbstverständlich benutzten medialen Kommunikationswege wie E-Mail, Chat oder Videokonferenz ungeahnte Informationen über uns. … Emotionen können über das Bild, aber auch über die Stimme eingeschätzt werden. So können Daten über uns erhoben werden, auch wenn es uns nicht bewußt ist. Wer hätte gedacht, dass mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz auch unsere politische Einstellung und Präferenz der sexuellen Orientierung einschätzbar ist, oder über unsere Augenbewegungen ein psychologisches Persönlichkeitsprofil, welches unser Kaufverhalten oder unsere Beeinflussbarkeit in politischen Entscheidungen besser kalkulierbar macht? Personalisierte Preise der uns angebotenen Produkte inklusive? Man braucht keine Körpertracker, sondern es genügt ein ruhiges Videobild von uns, um unseren Puls zu bestimmen. Wir warten auf das Videokonferenz-Tool, das uns sagt, ob unser Gegenüber die Wahrheit spricht. … Dabei sind wir auch überall in der Nähe von Kameras, anhand unseres Gesichtes identifizierbar. Und wenn unser Gesicht der Kamera abgewandt ist, kann Künstliche Intelligenz Menschen auch am Gang erkennen.xi, fasst Bernd Lintermann auf der ZKM-Website zusammen und erinnert zugleich, dass bereits heute uns die technischen Bilder, hier sogar maskiert als freundliches Porträtbild, anblicken, betrachten, beobachten und analysieren.

Haben intelligente Maschinen und smarte (humanoide) Roboter, die aus Daten und Informationen Bilder und Objekte – etwa als Non-human Photography – generieren und produzieren können, darüber hinaus bereits auch ein (Selbst-)Bewusstsein und modellhafte Vorstellungen von der Welt, die sie den Menschen in ihren Digitalisaten vermitteln wollen? Oder gehört all dies, insbesondere die Zuschreibung von Intelligenz und autonomer Kreativität, allein zu den popkulturellen Mystifizierungen und Mythologisierungen der KI, wie sie uns etwa auch in der populären AI ART suggeriert werdenIst nicht die spiegelbildliche Vermenschlichung der KI – gerade durch ihre Einbettung in anthropomorphisierte technische Einheiten wie Humanoide, Androide oder Avatare – dabei wirklich nur eine Art magischer Zaubertrick? Projizieren Menschen nicht lediglich Kreativitätskompetenzen, wenn sie die programmiertenDarbietungen von KI-Systemen in Gestalt und der Natur von Lebewesen, Ihresgleichen, betrachten? Die Schar dieser neuen menschenähnlichen KI-Kreat(e)ure, die wie Ai-Da oder Sophia performativ Bilder und analoge wie digitale Artefakte produzieren, malen, zeichnen, tanzen, singen usw., jedenfalls wächst und ist dabei noch höchst divers. Und diese bereichen bereits heute, respektive beherrschen bald völlig, das breite Spektrum digitaler Bilder unserer Zeit. 

Indes sind in unserer Visuellen Kultur bereits auch viele synthetische Körper (Synthients) als täuschend lebensähnliche Agenten unterwegs, wie etwa die Model-Avatare der Agentur The Digiitals oder als prominente InfluencerInnen wie Miquela auf Social Media, die mit ihrem attraktiv-modischen Aussehen und kommunikativen Verhalten zu sozialen Ko-Existenzen avancieren. Als Charaktere mit flexiblen und fluiden Identitäten sowie synthetischen Narrativen sind sie bereits Vorreiter einer trans- und posthumanistischen Welt. Neben Körpermutationen in Form neuer schillernder Mischwesen erfüllt KI bereits auch den Wunsch nach Unsterblichkeit, indem sie zu zeitlosen, nie mehr alternden Körpern verhilft – stets fit und optimiert für eine Kultur des Performativen und der (Selbst-)Inszenierungen auf den vollends mediatisierten Bühnen des Lebens.

Gut unterhalten und rein spielerisch verleiben wir uns daher gerne schon einmal die digitalen Körperbilder als neue modische Haut (Skins) in KI-Kunst-Installationen oder immersiven Computergames ein, bevor die Technologie wirklich körperinvasiv wird und den neuen transhumanistischen Körper der Zukunft erschafft. Digitale Körperbilder markieren im aktuellen 3D-Avatar-Design für das Metaverse somit nur eine weitere Evolutionsstufe zum realen posthumanistischen Körper oder zu einem dystopischen Szenario wie es uns Steven Spielberg 2018 in seinem Meta-Film “Ready Player One” imaginiert.



i Vgl. hierzu auch die Arbeit “Flick KA AI. Ein Turing Test”, 2019, von Peter Weibel und Daniel Heiss im ZKM Karlsruhe, https://zkm.de/en/artwork/flick-ka-ai: “In the future, it will become increasingly difficult to distinguish computer-generated images from photographic images. The photo booth FLICK_KA, which is installed in the foyer of the ZKM, collected photos of over 50,000 visitors for ten years. Their portraits served as training data for the algorithm that generates completely artificial “photographs” using the combined characteristics of all the people photographed. The work shows the photographs and the artificially generated images indiscriminately side by side and asks the question: Who was born? Who was generated? The answer is displayed after a few seconds. The viewers experience that they are not able to distinguish with certainty between the real persons and the artificially generated ones.

ii Siehe das Mixed-Media-Projekt “The Zizi Show. A Deepfake Cabaret” (2020) von Jake Elwes unter https://zizi.ai (letzter Zugriff: August 2022).

iv Siehe hierzu auch Pamela C. Scorzin: “Ko-Kreation und Evolution in der AI ART 

– am Beispiel von Pierre Huyghes ‘Mental Image’-Installationen,” in: kunsttexte.de, Festausgabe, ed. by Sabine Bartelsheim/ Gora Jain (Sektion KunstDesignAlltag), No. 1, 2022 (7 pages), Link zum PDF: https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kunsttexte/article/view/88240?fbclid=IwAR3m_R3QMoCmtqByecY86AsQ68hdst1hvO0K6y3Ye2uBzhB19ptjyAcWWis .

v Ausgewählte Literatur zum Thema Künstliche Intelligenz in der Kultur seit 2020:

Grünberger, Christoph. 2021. The Age of Data: Embracing Algorithms in Art & Design. Zürich: Niggli Verlag.

Scorzin, Pamela C., Hg. 2021. KUNSTFORUM International Bd. 278: AI ART. Kann KI Kunst? Neue Positionen und technisierte Ästhetiken. Köln, 340 Seiten.

Manovich, Lev and Emanuele Arielli. 2021. Artificial Aesthetics: A Critical Guide to AI, Media and Design. Abrufbar unter: http://manovich.net/index.php/projects/artificial-aesthetics.

Keskintepe, Yasemin, und Anke Woschech für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden, Hgg. 2021. Künstliche Intelligenz. Maschinen – Lernen – Menschheitsträume. Göttingen: Wallstein Verlag.

Stocker, Gerfried, Markus Jandl, und Andreas J. Hirsch, Hgg. 2021. The Practice of Art and AIKatalogbuch Linz/ Berlin: Hatje Cantz.

Harmsen, Lars und Julia Kahl, Hgg. 2021. Slanted Magazine #37AI – Artificial IntelligenceKarlsruhe: Slanted Publishers.

Rauterberg, Hanno. 2021. Die Kunst der Zukunft: Über den Traum der kreativen Maschine. Berlin: Suhrkamp Verlag.

Zylinska, Joanna, 2020. AI ART: Machine Visions and Warped Dreams. London: Open Humanities Press. Abrufbar unter http://openhumanitiespress.org/books/download/Zylinska_2020_AI-Art.pdf.

Precht, Richard David, 2020. Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens. nchen: Goldmann.

Riesewieck, Moritz und Hans Block. 2020. Die digitale Seele. Unsterblich werden im Zeitalter Künstlicher Intelligenz. nchen: Goldmann Verlag.

vi Siehe https://www.ai-darobot.com (letzter Zugriff: 13. Dezember 2021): “Today, a dominant opinion is that art is created by the human, for other humans. This has not always been the case. The ancient Greeks felt art and creativity came from the Gods. Inspiration was divine inspiration. Today, a dominant mind-set is that of humanism, where art is an entirely human affair, stemming from human agency. However, current thinking suggests we are edging away from humanism, into a time where machines and algorithms influence our behaviour to a point where our agency’ isnt just our own. It is starting to get outsourced to the decisions and suggestions of algorithms, and complete human autonomy starts to look less robust. Ai-Da creates art, because art no longer has to be restrained by the requirement of human agency alone.

ix Vgl. Boden, Margaret A., 2004. The Creative Mind: Myths and Mechanisms. London: Routledge. 2nd edition; dies., 2010. Creativity and Art: Three Roads of Surprise. Oxford: Oxford University Press. 

x Meier, Anika und Manuel Rossner, 2021. I Dont Experience the Meaning of Creativity in the Same Way Humans Do: Künstliche Intelligenz und Kreativität.” In: Proceedings of the First Conference on Designing with Artificial IntelligenceOnline conference, September 17-19, 2020, ed. by Engenhart, Marc and Sebastian Loewe, 2021, pp. 86-90. Abrufbar unter: https://www.designing-artificial-intelligence.eu.

xi Bernd Lintermann zur KI-Installation TRUST unter https://zkm.de/de/trust (letzter Zugriff: 10. Dezember 2021). 

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