Bericht zur Tagung „Das digitale Bild – Reflexionen zur kreativen Praxis”

Bericht zur Tagung „Das digitale Bild – Reflexionen zur kreativen Praxis”

Auf der fünften Tagung des DFG-Schwerpunktprogramms „Das digitale Bild“, die vom 7. bis 9. Juli 2022 in Marburg und online stattfand, wurde das digitale Bild aus der Perspektive der kreativen Praxis reflektiert. Gruppiert in sieben Panels wurden grundlegende Aspekte angesprochen: Im/Materialitäten, Analog/Digital, Gestaltungsprozesse, Machine Learning, Zugänglichkeit, Körperbilder und Social Media. Allen gemein war die Frage der Verortung des digitalen Bildes zwischen Kunst und Wissenschaft, Visualisierung und Kodierung sowie KI und ihrer Bias. Die Vorträge und Künstler*innengespräche – aus theoretischer und praktischer Perspektive – öffneten den Blick auf das digitale Bild und seine Verwendung. Im Folgenden sollen die Beiträge pointiert nachgezeichnet werden.

Panel 1: Im/Materialitäten

Das erste Panel beschäftigte sich mit der Immaterialität und Materialität und daher mit der Begriffsbestimmung und Wahrnehmung digitaler Bilder. Der Medientheoretiker ALEXANDER GALLOWAY (New York) eröffnete dabei ganz zu Beginn eine ungewöhnliche Perspektive. In seinem Vortrag Digital Images Without Computers  legte er das Augenmerk auf künstlerische Artefakte des 20. Jahrhunderts, die zunächst nicht programmierbar erscheinen, aber auf den zweiten Blick bereits digitale Aspekte offenbaren. Er positionierte sein Buch Uncomputable. Play and Politics in the long digital age innerhalb des Diskurses um das digitale Zeitalter und stellte dabei die These auf: “You don´t need a computer to generate a digital image”. Galloway will damit die Kategorie der digitalen Bilder erweitern und historische Kontinuitäten offenlegen. Im Aufführen von Werkbeispielen früher digitaler Kunst ging er nicht systematisch sondern episodisch vor. So stellte er Albert Land vor, der ein zwei Meter großes Raster schuf, in dem ein Ökosystem widergespiegelt wird. Galloway zeigte für die Untermalung seiner Thesen jeweils eigene erklärende Graphen. Schließlich sprach er die Problematik der fehlenden Frauenfiguren in der Computerszene an und erwähnte prägende Cyberfeministinnen wie Sandy Stone, Sadie Plant und Ada Kietz. Im Werk letzterer spürte er einer Verbindung von Webstrukturen und früher Programmiersprache nach. So verwendete die Künstlerin Ada Dietz bereits in den 1940er Jahren Algebra zur Erstellung von Berechnungsmustern für das Weben. Sie war an Mustern interessiert, welche eine „regelmäßige Unregelmäßigkeit” aufweisen. So war sie imstande, einen Code zu generieren, aus dem ohne eine einzige Wiederholung eine Webstruktur von neun Meilen generiert werden konnte. Galloway zeigt, dass der “digital turn” tatsächlich eine Hinwendung zu den Erfordernissen des Materials bedeutete. Damit entsteht ein neues Narrativ hinsichtlich der konventionellen Zuschreibung von Immaterialität zur digitalen Welt und Materialität zur physischen Welt.

Auch die Künstlerin ROSA MENKMAN (Amsterdam) nimmt sich für den Vortrag Untangling resolution das Ziel, die Blackbox des digitalen Bildes zu fragmentieren. Mit der Zuordnung zur Glitch Art fühlt sie sich missverstanden:  “Glitch Art und Impossible Images are one part of the Resolution studies”. Die Auflösung von Bildern sei das eigentliche Thema, mit dem sie sich beschäftigt und in dem sie Vermittlungsbedarf empfinde. Sie plädierte für ein Bewusstsein für die Komprimierungsmethoden, die alltäglich und automatisch angewandt würden. Formatierung definiere nicht nur wie, sondern auch welche Daten zwischen zwei technischen Endgeräten gespeichert und gesendet werden. Die Auflösung sei das Ergebnis eines Zusammenschlusses verschiedener Materialeigenschaften. Nach dieser theoretischen Einführung ließ uns die Künstlerin in ihre eigenen privaten Wände eintauchen, die sie zum Ausstellungsort auserkoren hat.  Mittels eines eigens für die Tagung erstellten groben Scans zeigte sie ein digitales 3D-Modell ihrer Räumlichkeiten, in denen sie ausgewählte digitale Kunstwerke im Nachhinein virtuell platziert hatte, um mit uns von einem Werk zum anderen zu wandern. Die bewegten Bilder gaben durch ihre Verpixelung nur limitierten Einblick. Im Raum stand die Frage: Bestimmt der Grad der Auflösung, wie viel Privates wir mit digitalen Bildern preisgeben? Durch die virtuelle Platzierung in bestehenden Räumlichkeiten wurden ihre Bilder gedanklich materialisiert.

Panel 2: Analog/Digital

Mit der Verknüpfung von analogen und digitalen Konzepten und Phänomenen setzte sich das zweite Panel auseinander. Dabei stand die schöpferische Perspektive im Vordergrund: HELL GETTE und ARAM BARTHOLL erläuterten ihre kreativen Prozesse und Ideenbildung vor dem Hintergrund des digitalen Bildes. Gette sprach von einem persönlichen Standpunkt über nostalgische Erinnerungen an erste Computerspiele, Gameboys und Emojis. Dabei stellte sie auch die spezifische Vorgehensweise ihres künstlerischen Prozesses vor, in dem sie zwischen Fotografie, Ölmalerei und Photoshop ganz im Sinne einer Post-Digital-Art agiert. Der analoge Aspekt der Ölmalerei kontrastiert dabei mit digitalen Welten aus Jump-And-Run Spielen der neunziger Jahre und dem Emoji als Kommunikationstool der Messenger-Ära. Aram Bartholl wählte Beispiele aus seinem Œuvre, die Bezüge zwischen digitaler Sphäre und analoger Umwelt herstellen. Seien es E-Scooter, die er aus der Spree fischt und – verschlammt und verkrustet – in einer Berliner Galerie ausstellt oder riesige Wegmarker, die in ihrer Tropfenform an Google Maps angelehnt sind und nun in Übergröße mitten im Kreisverkehr oder auf Hausdächern der analogen Welt auftauchen. Bei beiden Vorträgen wurde deutlich, wie das digitale Bild aus dem ursprünglichen Zusammenhang genommen wird, auf die analoge Welt übersetzt wird und diese transformiert.

Panel 3: Gestaltungsprozesse

Im dritten Panel zu Gestaltungsprozessen wurde das digitale Bild aus den Disziplinen der Architektur und Computertechnologie betrachtet. Die Architekturtheoretikerin NATHALIE BREDELLA (Karlsruhe) beabsichtige in ihrem Vortrag Architecture numérique: zur Operativität digitaler Bilder in der Architektur das gängige Narrativ einer digitalen Architektur der gekrümmten Formen von Architekturikonen zu überwinden. Zunächst malte sie ein bewegtes Bild der Architekturgesellschaft der neunziger Jahre: Es sei eine Zeit der Spekulationen und des Experiments, der Hinwendung zur Philosophie und Mathematik, aber auch der makroskopischen Raumplanung innerhalb eines geopolitisch dystopischen Wirkens der Globalisierung gewesen. Anschließend folgte ein Blick auf die Mikroebene: architektonische Fallbeispiele aus dieser Zeit, die sich an den neuen Netzwerktechnologien bedienten. Dabei präsentierte Bredella nicht nur deren visuelle Darstellungsformen, sondern auch deren enge Verflechtung mit neuen Produktionsmethoden. Näher ging sie auf Bernard Cache, Inhaber des französischen Architekturbüros Objectile, ein. Dieser benutzte die computergestützte Produktion, um nicht identische Projekte zu generieren und Nutzer*innen einzubeziehen. Auszüge aus ihrem im Juni erschienenen Buch „The Architectural Imagination at the Digital Turn“ unterstützen ihre Argumentation. 

Der Vortrag des Kunst- und Medienwissenschaftlers MICHAEL ROTTMANN über Programmierte Bilder. Zur Produktion und Theoretisierung des digitalen Bildes am Beispiel der künstlerischen Computergrafik der 1960er Jahre war eine spannende Rekonstruktion und Analyse des historischen Schaffensprozesses von künstlerischer Computergrafik am Beispiel von Frieder Nake. Rottmann zeigte auf, dass Diagramm, Programm und Bild als untrennbare Einheit betrachtet werden müssen, die in einem Akteur-Netzwerk miteinander verbunden sind und sich in wechselseitigen Transformationen entwickeln. Der Vortrag hinterfragte den dualistischen Ansatz von digitalen Bildern und Code, und argumentierte stattdessen für eine unauflösbare Beziehung zwischen analogen und digitalen Techniken und Praktiken.
Durch
Einblicke in die komplexe Beziehung zwischen menschlichen und maschinellen
Prozessen in der Produktion von Computergrafik wurde die gängige Vorstellung von vollständiger Automatisierung in digitalen Systemen relativiert.

Panel 4: Machine Learning

Das vierte Panel, das Machine Learning als übergeordnetem Thema gewidmet war, umfasste die Vorträge von BERNHARD DOTZLER (Regensburg) und ROLAND MEYER (Bochum). Dotzler wagte in seinem Vortrag Vom l’Art pour l’Art der KI eine aus der Medientheorie, konkret aus der Kittler-Schule, inspirierte Interpretation des technischen Fortschrittes und seines Einsatzes. Mit der im Titel angedeuteten Hinterfragung der Zweckhaftigkeit des Technischen, bzw. der Behauptung einer ästhetisch sich selbst genügenden Artifizialität der Künstlichen Intelligenz (L´Art pour l´Art) konzentrierte sich Dotzler auf zeitgenössische, maschinell kreierte Kunst sowie durch KI gesteuerte Kunstobjekte und -installationen. Als Vertreter eines technischen Skeptizismus hinterfragte er medienarchäologische Begriffe und die Bedeutung von Kunst vor und nach der Existenz des Machine Learnings. Seine These, die KI ziele auf die Ersetzung des Menschen, da der Automatisierungsgrad im Deep Learning vom Menschen ab einem gewissen Punkt nicht mehr steuerbar und koordinierbar sei, thematisierte das Verhältnis von Mensch und Maschine, klammerte aber technische Bedingungen vorwiegend aus. Insbesondere machte Dotzler seine Argumentation am Kunstwerk Bartleby (2020) von Felix Weinold fest, das sich mit der wechselseitigen Abhängigkeit von Mensch und Maschine beschäftigte. Meyer stellte diesem medientheoretischen Nachdenken über Autonomiefragen der KI den Vortrag Muster und Masken. Gesichtserkennung als Bildpraxis gegenüber, in dem er konkret die Entwicklung, den Einsatz und die Probleme der Gesichtserkennung fokussierte. Während die Technik aus dem Sicherheits- und Militärwesen übernommen worden sei, stünde im digitalen Netzwerk der Bilder heute kein Bild mehr für sich allein. Vielmehr läge jedes Bild eine Spur zu einem anderen. Im Zusammenspiel mit der Smartphone-Fotografie, den sozialen Medien und dem technischen Potenzial einer KI sei somit im letzten Jahrzehnt eine Situation entstanden, in der unsere eigenen Gesichter zu wertvollen Datenressourcen für die Wirtschaft wurden. Aus einzelnen Bildern wurden folglich Muster, die von einer KI wiedererkannt und kontextualisiert werden können.

Panel 5: Zugänglichkeit
Das fünfte Panel „Zugänglichkeit“ behandelte vorwiegend den künstlerisch-praktischen Umgang mit und die Möglichkeiten durch digitale Techniken. Die Künstlerin und Autorin FELICITY TATTERSALL präsentierte in ihrem Vortrag How do creatives use Digital Images? ihren Umgang mit digitalen Elementen und Malstilen anhand verschiedener Beispiele aus ihrem Œuvre. ROB ERDMANN (Amsterdam), Fachmann für Kunsttechnologien der Konservierung und Restaurierung, stellte in seinem Beitrag The use of massive multimodal images in the Rijksmuseum´s ´Operation Night Watch´ die Perspektive der Erhaltung und Sicherung von Kunstwerken mit den Möglichkeiten des Digitalen vor. Insbesondere erlangten die Zuhörer*innen einen Einblick in die digitalen Möglichkeiten einer zukunftsorientierten Museumspraxis, die beispielsweise mit hochauflösenden Scanverfahren arbeitet, um Gemälde in ihren Farbschichten und möglichen verdeckten Bedeutungsebenen besser analysieren zu können.

Panel 6: Körperbilder
Das digitale Körperbild stand im Zentrum des sechsten Panels. PAMELA SCORZIN (Dortmund) ließ dabei einen Teil ihres Vortrages von einer KI performen. Ein digitaler Assistent, der, gefüttert mit Text, zum Leben erwacht und mit einigem rhetorischen Geschick das Geschriebene wiedergibt. Dabei wird die Transgression von Mensch und Maschine deutlich, die sich auch visuell feststellen lässt. Sei es wie im Beispiel des humanoiden Assistenten als mimetische Wiedergabe der analogen Wirklichkeit, oder ihre künstlerische Subvertierung in einer verzerrten – verglitchten – Parallelwelt von Avataren und generativen Techniken.
Die Erzeugung von Abbildungen nicht existierender Menschen ist durch die Anwendung spezieller neuronaler Netze wie bspw. Generative Adversarial Networks (GAN) bereits heute täuschend echt möglich. Diesen Ausprägungen stellen sich Künstler*innen entgegen, die ähnliche generative Techniken nutzen, sie jedoch reflektieren oder manipulieren. Scorzin nennt hier beispielsweise Jake Elwes, der mit “The Zizi Show” von 2020 im Rahmen einer Drag-Show einerseits die Narrative und Mystifizierungen der KI-Technik thematisiert, durch Verwendung entsprechender neuronaler Netze aber auch visuell reflektiert. Scorzin endete mit einem Ausblick ins Metaverse und der vollständigen Verschmelzung von analogem Körper und digitalem Avatar7.
Ebenfalls aus einer Perspektive des Drag berichtete T. L. COWAN (Toronto). Sie stellte in ihrem Vortrag die spezifischen Herausforderungen von Performancekunst in Zeiten der Pandemie vor. Da Live-Shows nicht mehr möglich waren, mussten neue Formate etabliert werden. Cowan selbst startete mit ihrer Partnerin einen Foto-Blog mit kurzen Texten, der aus dem heimischen Wohnzimmer gesendet wurde. Andere Performer*innen wählten Zoomtreffen oder Facebook-Videos als Kommunikationstool und digitale Bühne.

Panel 7: Social Media
Das letzte Panel befasste sich mit dem Aspekt „Social Media“ und wurde von einem Beitrag TILMAN BAUMGÄRTELS (Mainz) und dem Autor ANDY DONALDSON bereichert. Donaldson, der leider kurzfristig seinen Live-Vortrag absagen musste, konkretisierte die Arbeit an seinem Blog Terrible Real Estate Agent Photographs in einem nachträglichen Interview, das auf der Webseite des Schwerpunktprogrammes nachzulesen ist (https://www.digitalesbild.gwi.uni-muenchen.de/inexplicably-bad-property-photographs/). Baumgärtels Vortrag widmete sich den Motiven der GIF-Animation. Das GIF sei eine frühe digitale Form der bewegten Bild-Kommunikation. Das Format des GIFs sei nicht nur vorgegeben und damit fremd erstellt und wird hierzu in Datenbanken bereitgestellt und gespeichert, sondern ließe sich auch selbstständig in einem kreativen Prozess erstellen. Die diversen Motive der GIF-Animationen bestünden aus mehrschichtigen, fragmentierten Ausschnitten aus Film-, Ton- und Textwerken, die neu kontextualisiert eigene Aussagen bilden. Die so entstehenden kommunikativen Elemente könnten in verschiedenen Kategorien, je nach geschichtlichen oder motivischen Aspekten, systematisiert werden und dadurch eine eigene soziale Praxis als Teil der digitalen kulturellen Volkskunde ausbilden. Diese relativ frühe Form einer sozialen Bildkommunikation löse auch aktuell eine ästhetisch-kreative Debatte aus, die durch ein Revival des GIFs seit den 2010er Jahren zu beobachten sei.

Mit ihren kritischen Überlegungen zur kreativen Praxis des digitalen Bildes führten die Beiträge zu anschließenden lebendigen Diskussionen.  Dabei schwanden die Grenzen zwischen Kunst und Technologie. Dies untermalte die einleitenden Worte Hubert Lochers, dass der Ursprung des griechischen Begriffes „téchne” den heutigen Begriffen Kunst, Handwerk und Kunstfertigkeit entspräche. Genau dieses Verschmelzen beziehungsweise wieder Zusammenkommen getrennter Sphären bietet vielfältige Möglichkeiten für Künstler*innen. Wie bei allen Beiträgen der Tagung deutlich wurde, können die Technologien in den künstlerischen Prozess mit einbezogen, kritisch reflektiert oder dialektisch verhandelt werden.