Workshop-Bericht: Das digitale Bild des Videospiels

Workshop-Bericht: Das digitale Bild des Videospiels

zusammen mit Max Ungerland

Vom 22. bis 23. Januar 2025 fand am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität Marburg ein Workshop zum digitalen Bild des Videospiels statt. Der Workshop war dazu gedacht, dass die beiden Projekte Der interaktive Blick – Zu Status und Ethik von Überwachungsbildern in digitalen Spielen sowie Bewegbare Bilder festhalten. Screenshots als theoretisierende Medienpraxis sich anhand von materialnahen Analysen über die digitale Bildlichkeit des Videospiels austauschen, über ihre eingesetzten Methoden sprechen und sich Gedanken über ihr Forschungsdatenmanagement machen. Dazu haben die Projekte zwei Experten auf dem Gebiet eingeladen: Kai Matuszkiewicz und und Thomas Hensel. Aus den Projekten nahmen am Workshop Jens Ruchatz, Kevin Pauliks und Max Ungerland sowie Martin Hennig, Theresa Krampe und Markus Spöhrer teil.

Gruppenbild des Workshops zum digitalen Bild des Videospiels

Am Abend des 22. Januar hielt Thomas Hensel zum Einstieg einen Vortrag zu „Detroit Become Human: Das Atelier des Malers als Allegorie des Computerspiels“ und stellte damit sein in Arbeit befindliches Buch zum Videospielbild vor. In seinem Vortrag erläuterte Hensel mit einem besonderen Fokus auf erschaffende Hände, wie das Atelier in dem Videospiel Detroit Become Human (2018) das Verhältnis zwischen Androiden bzw. Maschinen und Menschen reflektiert. Die Spielfigur, der Android Markus, arbeitet für den im Rollstuhl sitzenden Maler Carl, der seine Kunst nur dank eines Roboterarms erschaffen kann. Gleichzeitig wirft die Szene die Frage auf, was Kunst in Hinblick auf KI eigentlich ausmacht, wenn Carl Markus dazu auffordert, etwas zu malen und die angefertigte „perfekte Kopie“ nicht als Kunst anerkennen will. Im Videospiel wirken die Hände der Spielenden erschaffend, da sie durch Controllereingaben und Handbewegungen auf dem Touchpad die Bewegungen von Markus direkt ausführen, jedoch immer limitiert durch den Handlungsspielraum, den das Videospiel vorgibt. Wie Hensel betont, findet so eine „Begegnung auf Augenhöhe von Mensch und Maschine als Ego-Dokument des Computerspiels“ statt. Bildende Kunst und das digitale Bild des Videospiels treffen folglich aufeinander und reflektieren sich gegenseitig.

Im Anschluss an den Abendvortrag fand am darauffolgenden Tag der Workshop statt, bei dem sich die beiden Forschungsprojekte über ihre Fortschritte und offenen Fragen austauschten. Des Weiteren hielt Kai Matuszkiewicz einen Vortrag über das Forschungsdatenmanagement in den Game Studies.

Zu Beginn des Workshops stellten Martin Hennig, Theresa Krampe und Markus Spöhrer zunächst einige Fallbeispiele aus ihrem Projekt Der interaktive Blick vor, welches die Bildlichkeit von Überwachungsbildern in Videospielen der letzten 15 Jahre erforscht und dabei die Repräsentation von Überwachung in Videospielen im Unterschied zu anderen Medien betrachtet. Dabei ist auch die ethische Ideologiekritik neben der medienwissenschaftlichen Auswertung relevant. Im Zuge der Ästhetik von Videospielen diskutierten die Anwesenden über die Position der Spielenden und deren Bedeutung für die Wahrnehmung der Überwachung. Im Mobile Game Recontact Istanbul: Eyes of Sky (2017) betrachten die Spielenden fotografische Aufnahmen aus der Perspektive von Überwachungskameras und führen auf der Suche nach einem Verdächtigen so eine Rasterfahndung durch. Passend zu dieser Praktik wird das Kamerabild im Videospiel als Raster dargestellt. Im Indie-Spiel Beholder (2016) nehmen die Spielenden wiederum die Rolle eines Vermieters in einem dystopischen Überwachungsstaat ein, der seine Mieter/innen mithilfe von heimlich platzierten Kameras in den Wohnungen überwacht. Spielende blicken im Videospiel auf den Querschnitt des Hauses, in dem die Wohnungen als schwarze Fläche dargestellt werden und erst mit dem Installieren der Kameras einsehbar sind. Durch diesen Dollhouse View wirken die versteckten Kameras beim Aufdecken der Wohnungen weniger wie ein Angriff auf die Privatsphäre als vielmehr wie nur ein weiteres Stück zur Vervollständigung des Puzzles.

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Anschließend stellten Jens Ruchatz, Kevin Pauliks und Max Ungerland Beispiele aus dem Projekt Bewegbare Bilder festhalten vor, welches sich mit Screenshots aus 360°-Umgebungen wie digitalen Spielen und Panoramen auseinandersetzt. Im ersten Bildbeispiel aus dem Subreddit r/screenshotsarehard machen sich User lustig über Bildschirmfotos aus Read Dead Redemption 2 (2018), das eigentlich einen elaborierten Fotomodus bietet. Dennoch hat sich ein User dazu entschieden, lieber den Bildschirm abzufotografieren. Hensel merkte dazu an, dass die kritisierten Bildstörungen wie der Moiré-Effekt eine Art Anti-Ästhetik hätten, die so auch im Kunstkontext stehen könnten, z. B. in der Glitch Art. Im zweiten Bildbeispiel aus dem Subreddit r/VirtualPhotographers, der im Kontext der virtuellen Amateurfotografie steht, fiel die Herrscherikonografie auf. Im Screenshot ist die Spielfigur auf ihrem Pferd auf einem Hügel am Fluss abgebildet. Im Hintergrund schlagen Blitze ein. Die Rahmung durch die virtuelle Natur erinnert an die Romantik. In der Diskussion kam die Frage auf, ob mit dem Fotomodus angefertigte Bilder wie dieses überhaupt als Screenshots zu betrachten sind, da In-Game-Fotos nicht über das Betriebssystem, sondern mit dem Spiel im Spiel aufgenommen werden. Eine eindeutige Antwort auf die Frage gab es erstmal nicht. Das Projekt wird sich dieser Frage aber zukünftig weiter annehmen, indem die Bildpraktiken von Bildschirmfotos, In-Game-Fotos und Screenshots verglichen werden.

Screenshot aus dem Videospiel

Im nächsten Teil des Workshops wurde die Beziehung von Bild und Text im Videospiel diskutiert. Das erste Bildbeispiel aus dem Projekt Bewegbare Bilder festhalten stammt aus dem Subreddit r/DarkSouls2, wo sich User über das gleichnamige Rollenspiel austauschen. Wichtig erschien in der Diskussion insbesondere das Vorwissen über die in den Screenshots gezeigten und miteinander verglichenen Videospiele zu sein: Die Screenshots lassen es so aussehen, als sei die Grafikqualität von Dark Souls 2 (2014), das angeblich schon „1956“ entwickelt wurde, wie die Beschriftung behauptet, der Grafikqualität von dem zehn Jahre jüngeren Dragons Dogma 2 (2024) überlegen, das grafisch gesehen eigentlich State of the Art ist. Die Screenshots (re)präsentieren die beiden Videospiele nicht neutral, sondern im Gestus einer Fake History.

Als zweites wurde die Schwierigkeit der Bildbeschreibung von Videospielen angesprochen. In einem Screenshot aus Cyberpunk 2077 (2020), der im Projekt Der interaktive Blick aufgenommen wurde, blicken Spielende durch eine von Feinden platzierte Überwachungskamera auf die eigene Spielfigur, die verpixelt dargestellt wird und sich dadurch der Überwachung entzieht. Die Mission ist es, die Überwachungskamera abzuschalten. Das Verhältnis von Betrachtenden und Betrachtetem steht in paradoxer Beziehung. Spielende überwachen sich selbst, indem sie mit einer feindlichen Überwachungskamera, auf die eigene Spielfigur blicken, die sich jedoch dem Blick durch futuristischen Datenschutz entzieht und die Überwachungskamera abschalten soll. Das Projekt steht vor der Herausforderung, solche komplizierten Verflechtungen der Überwachung in einer Projektdatenbank möglichst kurz und knapp aufzuschlüsseln.

Forschungsdatenmanagement des Videospiels

Im abschließenden Vortrag über das Forschungsdatenmanagement von Videospielen erklärte Kai Matuszkiewicz die F.A.I.R.- („findable, acessible, interoperable, reusable“) und C.A.R.E.- („collective benefit, authority to control, responsibility, ethics“) Prinzipien zum Erhalten und Verbreiten von Forschungsdaten. Gerade die verschiedenen Versionen neuer Videospiele und die halb(il)legale Emulation alter Retrospiele wurde als Problem des Forschungsdatenmanagement hervorgehoben. Der Vortrag ging direkt in die Abschlussdiskussion über, in der das Urheberrecht und die damit einhergehenden Zitationsprobleme von dynamisch bewegbaren Bildern wie Videospielen thematisiert wurden, z. B. wie sich eine bestimmte Stelle im Spiel angeben lässt, an der ein Screenshot gemacht wurde. Die beiden Projekte werden zukünftig weiter im Austausch stehen, um sich solchen Problemen im Schwerpunktprogramm stellen zu können.