Der Startschuss
Es geht los. Oder besser gesagt: Es ging am 17.2.2020 los, bei unserer Tagung, mit der wir das lange geplante Schwerpunktprogramm „Das digitale Bild“ eingeläutet haben, das uns die Deutsche Forschungsgemeinschaft schon im Jahr 2018 genehmigt hatte. Ein Schwerpunktprogramm ist so etwas Ähnliches wie ein Sonderforschungsbereich, nur das die in ihm zusammengefassten Projekte ortsverteilt sind, also nicht an einer einzigen Universität durchgeführt werden.
„Lange geplant“ ist übrigens nicht einfach eine Floskel. Die Vorgeschichte geht eigentlich in die erste Hälfte der 2010er-Jahre zurück, als sich in der Münchener Siemens-Stiftung ein „Arbeitskreis für digitale Kunstgeschichte“ konstituierte. Die intensiven Diskussion in diesem Arbeitskreis, der auch heute noch aktiv ist, führten bald zu der Überzeugung, dass dieses im wahrsten Sinne des Wortes zukunftsweisende Gebiet ja auch einmal Gegenstand eines größeren Forschungsantrages werden könnte, bei dem die Breite des Feldes auszumessen war. Diese Überlegung fand vor dem Hintergrund der Tatsache ihren Ausdruck, dass die Geisteswissenschaften im Allgemeinen, insbesondere aber auch die sogenannten Digital Humanities im Kern vom Wort geprägt waren, sodass das Bild dringend einer eigenständigen Betrachtung bedurfte. Schon im Jahr 2016 fand dann ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausgetragenes Rundgespräch statt, an dem sage und schreibe an die 100 Interessierte mit Ideenskizzen teilnehmen wollten, von denen aber gerade nur einmal ein Drittel zugelassen werden konnte. Waren diese Skizzen in erster Linie in einem praktischen Anwendungsbereich angesiedelt, sodass sie sich als Teil der Digital Humanities verstehen konnten, so besannen sich die Projektbetreiber – zu Hubertus Kohle (LMU München) kam später Hubert Locher von der Universität Marburg hinzu – unter dem sanften Druck der DFG-Verantwortlichen (hier ist insbesondere Frau Dr. Althaus zu nennen, die heute bei der DFG für den Bereich der Geschichtswissenschaften zuständig ist) darauf, für ihren Antrag einen stärker theoretisch-epistemischen Schwerpunkt zu definieren, ohne freilich die Orientierung auf die Digital Humanities im Bereich der Kunst- und Kulturwissenschaften beiseite zu lassen.
Auf den dann Ende des Jahres 2018 in einer ausgesprochen kompetitiven Bewerberlage bewilligten Antrag bewarben sich an die 70 Wissenschaftler*innen mit voll ausgearbeiteten Projektvorschlägen. Aufgrund der von vornherein begrenzten Mittel konnten letztlich nur ein Dutzend genehmigt werden – das ist bedauerlich, weil zum einen zahlreiche Anträge durchaus nach ihrer Qualität und dem Interesse für das Gesamtprojekt interessant gewesen wären, zum anderen, weil dadurch das Spektrum des SPP naturgemäß erweitert worden wäre. Anteilig ist hier die Kunstgeschichte etwa gleichgewichtig mit den Medienwissenschaften berücksichtigt worden, daneben schaffte es ein archäologisches und ein Projekt aus der europäischen Ethnologie, in die Förderung aufgenommen zu werden. Förderung heißt in diesem Zusammenhang fast immer, dass eine oder mehrere Doktorand*innen in die Lage versetzt werden, ihren Dissertationsgegenstand zu traktieren, ohne sich permanent Sorgen machen zu müssen, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Die 12 Projektnehmer*innen waren bei der Tagung sämtlich anwesend und wurden sowohl durch die Projektleiter*innen wie meist auch die Projektbearbeiter*innen repräsentiert.
Nach dem Vorschlag der SPP-Koordination wurden die Projekte versuchsweise über die Fachgrenzen hinaus in vier Gruppen, „Bildkonstruktionen“, „Digitale Kunst“, „Social Media“ und „Digital Humanities“ eingeteilt. Für den Inhalt der Präsentationen verweise ich auf die Projektskizzen hier auf der Website, außerdem auf den demnächst erscheinenden Bericht von Leonie Groblewski: Das neue DFG-Schwerpunktprogramm „Das digitale Bild“, in: Rundbrief Fotografie. Analoge und Digitale Bildmedien in Archiven und Sammlungen 28 (2020). Im Verlauf der Tagung stellte sich schon sehr bald heraus, dass vielerlei Verbindungslinien zwischen Projekten auch jenseits der Gruppengrenzen entdeckt wurden. Stellvertretend möchte ich hier nur die Zusammenhänge zwischen Peter Bells und Björn Ommers bildsynthetischem Zugang und Martin Langners klassifikatorischem Ansatz in der Archäologie nennen. Bedeutsam sind solche Verbindungslinien vor allem deswegen, weil im Schwerpunktprogramm der Kooperationsaspekt ganz vorne stehen soll. Das bietet sich auch aus ganz praktischen Gründen an, geht es doch nicht zuletzt darum, gemeinsam betriebene Neuansätze aufzudecken und weiter zu entwickeln, um diese im zweiten Abschnitt des Schwerpunktprogrammes, das auf insgesamt sechs Jahre festgelegt ist, idealerweise zu akzentuieren.
Genau dieser Kooperationsaspekt stand in dem neben der gegenseitigen Projektvorstellung wichtigen zweiten Teil der Veranstaltung im Mittelpunkt, der sich in einer Reihe von offenen Workshops ausgestaltete. Hier waren einerseits Kommunikationsaspekte zu thematisieren, die sich in einem ortsverteilten Projekt natürlich verstärkt aufdrängen, mit digitalen Werkzeugen, die heute ja weit über die E-Mail hinausgehen, aber auch angemessen zu lösen sind. Andererseits aber war die Vernetzung der Projekte und die weitere Planung der für den SPP zentralen Tagungen, Konferenzen und Workshops zu bewältigen. Die beiden nächsten Tagungen des SPP werden zunächst in Marburg und dann erneut in München stattfinden. Im Gegensatz zur ersten Tagung, die im Wesentlichen der internen Verständigung gewidmet war, sollen sie auch einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich und entsprechend medial kommuniziert werden. Die nächste Veranstaltung in Marburg wird methodischen Aspekten gewidmet sein („Das digitale Bild: Methodik und Methodologie“). Als Termin wurde inzwischen der 11.-13. November 2020 festgelegt. Die folgende Tagung an der LMU-München wird voraussichtlich im März 2021 stattfinden und soll auf politische und soziale Kontexte des digitalen Bildes eingehen.
Auch über die Publikation der Ergebnisse und des Projektverlaufes wurde gesprochen. Das Weblog, das wir mit diesem Bericht aus der Taufe heben, dient der vor- und nachbereitenden Diskussion, darüber hinaus aber auch der kursorischen Berichterstattung über Themen aus dem Umfeld des SPP. Ähnliches gilt für Twitter, wo schon seit einiger Zeit ein Hashtag existiert (#DasDigitaleBild) und die Zahl der Follower unmittelbar nach der Tagung auf über 250 gestiegen ist. Über die weiteren Formen der Veröffentlichung hat sich eine lebendige Diskussion entwickelt. Ein interessanter Vorschlag kam von Matthias Bruhn (Karlsruhe), der sich schlanke Hefte (online und/oder gedruckt) zu einzelnen begrifflich zu umreißenden Aspekten des weiteren Themenfeldes vorstellen konnte, die jeweils aus dem Arbeitsbereich der einzelnen Projekte stammen würden. Aus seinem eigenen Bereich würde er z. B. mit einem Beitrag zum Thema „adaptive Bilder“ vortreten können. Ebenso wurde die Idee eines Themenheftes in der von Harald Klinke (LMU München) herausgegebenen Zeitschrift International Journal for Digital Art History erwogen, in dem eventuell die Impuls- Beiträge schon der ersten Münchner Tagung veröffentlicht werden könnten, wodurch das gesamte Programm des SPP zumindest der Zielsetzung der einzelnen Projekte nach schon im kommenden Jahr einer größeren interessierten Leserschaft vorgestellt werden könnte. Wesentlich ist allerdings, dass jedes der einzelnen Projekte auch eigene Publikationsstrategien verfolgen kann. So sollen auch eine Reihe von Dissertationen entstehen, die üblicherweise in Form klassischer Monografien ausgestaltet werden, dabei aber durchaus von wissenschaftlichen Weblogs begleitet sein könnten, wie sie z. B. bei hypotheses.org vorgehalten werden. Grundsätzlich fühlen wir uns jedenfalls dem Open-Access-Gedanken verpflichtet, was freilich nicht ausschließt, dass auch ganz „normale“ Bücher entstehen.
Viele weitere Aspekte, die mit Blick auf die Spezifik des digitalen Bildes in den Workshops benannt wurden, können hier nicht im Einzelnen erwähnt werden. Naturgemäß konnten diese Aspekte nur ansatzweise angesprochen werden. Eine ausführlichere Reflexion erhoffen wir uns im Rahmen der weiteren Veranstaltungen und innerhalb der einzelnen Projekte. Eher impressionistisch seien hier gleichwohl einige genannt: Mehrfach kam das Gespräch auf die Frage, wie es um die Geschichtlichkeit des digitalen Bildes stehe, das in seiner radikalen Modifikationsfähigkeit, seiner Tendenz hin zur Simulation und zum Wirklichkeitsersatz sich von der Zeugenschaft des traditionellen analogen Bildes unterscheidet. Was hat es mit der „agency“ des digitalen Bildes auf sich, ein Topos der zeitgenössischen Bildforschung, der eventuell sogar von der Digitalität angeregt wurde? Führt die Anwendung von machine learning zu einem erneuerten Strukturalismus, gar zu einem naiven Positivismus? Welchen Einfluss hat das Medium – hier ganz konkret die verwendete Software – auf die Erscheinungsweise des digitalen Bildes? In jedem Fall eine Menge, worüber in den nächsten Jahren zu reflektieren ist. Wir freuen uns darauf!
Hanni Geiger, Projektkoordinatorin
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